Der Mercedes W123 - Der Inbegriff des Spießbürgertums

Seewolf

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19. Dezember 2009
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Ort
Kaufbeuren
Fahrzeug(e)
2001 BMW E46
1983 300D W123
1987 560 SL R107
Nachdem wir ja nun einen Klassiker Bereich haben will ich auch mal was dazu schreiben.

Der Mercedes W123 galt zu seiner Blütezeit (1976-1985) als ein Auto für Spießer, 200er Limo fuhr die bessere Arbeitsklasse, oft vom Munde abgespart, der reiche Bauer das T-Modell und der Apotheker das 280er Coupe.
Die Sparfüchse griffen zum 200D mit nagelnden 60 Diesel Gäulen, genau wie Taxi Fahrer, eilige Sparfüchse nahmen den 300D mit kräftigen 88 PS - 1982 kam gar der Turbo Diesel mit unglaublichen 125 PS !

Ja so einen Mercedes kaufte man sich meistens als Geschenk zur Pensionierung, garnierte dies meistens mit sehr wenigen Extras, meistens setze der gesetztere Herr Kreuze bei Automatik, Servolenkung und ZV, im Kaufrausch manchmal auch noch beim rechten Außenspiegel, ja dieser kostete bei den ambitionierten Grundpreisen auch extra.
Extras wie Leder, Klima und E-Fenster waren viel zu exklusiv und wurden seltenst geordert.
Technische Leckerbissen wie ABS und Airbag waren auch erhältlich, jedoch für die doch etwas betagtere Kundschaft viel zu modern !
Der Grundpreis lies sich durch das setzen von zahlreichen Kreuzen übrigens verdoppeln.

Das schreckte aber nicht viele ab, Lieferzeiten von 3 Jahren und Preise für Jahreswägen die über dem eines Neuwagen lagen bestätigen dies eindrucksvoll.

In den 70er war das Auto Leben noch bunt, es standen jede Menge Farben zur Auswahl, ob Ahorngelb, Saharabeige, Cayenneorange, Eibengrün oder Inkarot - es gab so ziemlich alles.
Für die ganz mutigen gab es dann Heliosgelb außen und innen Moosgrün oder gar Hennarot - der letzte Schrei !

Die meisten W123 fanden ihr Zuhause in Garagen von gut situierten Pensionären die sie regelmäßig zum Haus mit dem Stern brachten, leider liebte auch Väterchen Rost den W123 und dezimierte den Bestand erheblich.
So fanden viele nicht mehr Tüvfähige 123er Diesel den Weg nach Übersee, wo sie selbst Heute noch täglich schuften.

Als Beispiel gilt zu nennen dass hier in Deutschland noch knapp 5% aller 280CE Coupe existieren, bei den Limousinen sieht das Bild deutlich düsterer aus, bei den Dieseln liegt der Anteil zwischen 1-2 %.

Warum war ein Mercedes damals so begehrenswert ?

Die Zuverlässigkeit eines Mercedes war legendär, die Diesel liefen statistisch 600tkm bis zur ersten Panne.
Was sollte schon groß kaputt gehen, Elektronik gibt es keine, das meiste ist rein mechanisch.
Die Vorderachse ist mit ihren Doppelquerlenker Prinzip simpel und wartungsfrei, durch den Lenkrollradius von 0 ergeben sich keine Kräfte beim Bremsen und lässt das Fahrzeug sehr ruhig liegen. Spurrillen interessieren nicht.
Die Diagonal Pendelachse galt auch schon im /8 als bewährt.

Fährt man mit einem 123er Heute in einer Mercedes Werkstatt kommen die alten Meister angelaufen um allein das Geräusch der Türen zu hören, diese fallen wie ein Tresor ins Schloss. Öffnet man noch die Haube und es steckt der berühmte M110 (280 E) mit seinen 2 Nockenwellen unter der Haube sind sie den Freudentränen nahe.

Stellt man das Auto ab kommen oftmals Passanten und freuen sich dieses Auto zu sehen, "so einen hatte ich auch mal", oder "das war Papas stolz" hört man sehr oft.

Der 123er überzeugt auch Heute noch mit voller Alltagstauglichkeit, 500 Liter Kofferraum sind eine Ansage, das Fahrwerk ist eine Wohltat gegen die Rumpelkisten der heutigen Zeit.
Und geht doch mal was kaputt gibt es alle Teile beim Mercedes Händler, Heute bestellt, morgen geliefert.

Reparieren kann ihn jeder Dorfschmied, es braucht keine Diagnose Computer oder sonstigen Kram.
Elektronik Probleme - guter Witz, es gibt keine !
Es nervt keine Start Stop Automatik, ich muss kein Fahrwerk einstellen, zum Ölstand messen ziehe ich einfach den Messstab heraus, ich muss auch keine Beleuchtungsfarbe auswählen oder mich über einen Regensensor ärgern, die Leuchtdauer der Coming Home Funktion einstellen oder die Intensität der Sitzheizung einstellen.



Ich setze mich einfach rein, lass die Türe ins Schloss fallen, drehe den Schlüssel rum, der Doppelnocker erwacht mit einem grummigen Bass, schalte die Automatik auf D und cruise von dannen, die Automatik schaltet butterweich vor sich hin, das große Lenkrad lädt zum cruisen gerade zu ein.

Hachhhh, kann das Leben herrlich einfach sein....... und wenn ihn nicht Väterchen Rost geholt hat fährt er in 30 Jahren immer noch - wenn die ganzen neuen Elektronik Kisten schon lange im jenseits sind.

Eine Homage an ein traumhaftes Auto dass so schrecklich typisch Deutsch ist, dass es schon wieder cool ist.
:winken4:












 
Treffend beschrieben, schöner Bericht!

Das mit dem Verdoppeln des Preises stimmt wirklich. Ich müsste irgendwo noch eine Preisliste von 1978 haben, wenn ich die finde, scanne ich mal was ein.
 
Geil geschrieben.:smilenew:

Hätt' ich gar nicht so von Dir erwartet:top:
 
Sonst lasen sich Deine Texte irgendwie ....anders..:smilenew: etwas "neutraler" vielleicht, nein, "anders" beschreibt es besser:smilenew:
 
Der 123er überzeugt auch Heute noch mit voller Alltagstauglichkeit, 500 Liter Kofferraum sind eine Ansage, das Fahrwerk ist eine Wohltat gegen die Rumpelkisten der heutigen Zeit.
Und geht doch mal was kaputt gibt es alle Teile beim Mercedes Händler, Heute bestellt, morgen geliefert.

Reparieren kann ihn jeder Dorfschmied, es braucht keine Diagnose Computer oder sonstigen Kram.
Elektronik Probleme - guter Witz, es gibt keine !
Es nervt keine Start Stop Automatik, ich muss kein Fahrwerk einstellen, zum Ölstand messen ziehe ich einfach den Messstab heraus, ich muss auch keine Beleuchtungsfarbe auswählen oder mich über einen Regensensor ärgern, die Leuchtdauer der Coming Home Funktion einstellen oder die Intensität der Sitzheizung einstellen.



Ich setze mich einfach rein, lass die Türe ins Schloss fallen, drehe den Schlüssel rum, der Doppelnocker erwacht mit einem grummigen Bass, schalte die Automatik auf D und cruise von dannen, die Automatik schaltet butterweich vor sich hin, das große Lenkrad lädt zum cruisen gerade zu ein.
Diese Passage beschreibt sehr treffend, warum meine Faszination für unsere heutigen Autos immer weiter abkühlt. Heute geht es nur noch darum, wer das aggressivste Frontstyling hat, die auffälligste LED-Kirmesbeleuchtung oder die meisten vom Fahren ablenkenden Elektro-Spielereien. Dazu langweilige R4T´s und völlig überzüchtetes Design. :neutral_new:
 
Das ist eben der Fortschritt:zwinker:;)
 
Ich oute mich mal als ehemaligen Besitzer eines W123 280E, den ich später (Ende der Achtzigerjahre) meinem Vater verkaufte, der ihn bis zu seinem Tod - viel zu früh - fuhr. Ich hatte den 280E für meinen damaligen 735i E23 in Zahlung genommen, was ein gutes Geschäft war: Für den Benz bekam ich fast 2.000 DM mehr als ich für den BMW haben wollte. :biggrin:

Nach Verkauf des Benz kam dann der langersehnte 635 CSi ins Haus, der dann später einem M635 CSi weichen musste. Einmal BMW, immer BMW! :top:

Aber der W123 fuhr sich toll, nur fühlte ich mich damals noch nicht alt genug für sowas. Als Schalter war er übrigens deutlich flotter als der Automat, der dem Auto jegliches Temperament nahm. Der Schalter ging gut, in etwa so wie ein 528i mit 184 PS. Damit war man bei Erscheinen des Autos vor über 35 Jahren auf der Straße sehr gut motorisiert, vergleichbar mit heute 300+ PS.

Ansonsten kann ich allem nur zustimmen, was oben geschrieben wurde. Robuste, unkomplizierte Autos ohne große Macken waren das, die genau das taten, wofür sie gebaut wurden: Fahren!
 
Was soll ich mit 24 da sagen wenn ich einen W123 fahre :roflmao:

Aber du hast recht mit dem Automaten, der raubt viel Dampf, aber er passt einfach zum Auto, ich cruise eh fast nur und auf der Autobahn geht er auch mit Automat 200 Sachen und sorgt regelmäßig für verblüffte Gesichter :biggrin:
 
Heute wäre es mir auch egal, aber in jüngeren Jahren war ich absoluter Coupé- und BMW-Fan. Ich (bzw. später mein Vater) hatte die Automatik-Version, aber im Firmen-Fuhrpark meines damaligen Arbeitgebers gab es einen 280E-Schalter sowie einen R107* (!) mit Schaltung. Beim Umstieg hatte man das Gefühl, 50 PS mehr zu haben. Aber so war das mit den alten Dreigang-Automaten, das waren echte Temperamentkiller. Heute sind die Automaten mit ihren 6 bzw. 8 Gängen eher schneller als die Schalter (sofern das vergleichbare Modell überhaupt noch als Schalter verfügbar ist).

*Mit dem bin ich im Sommer immer gerne und ausgiebig gefahren, logisch. Auch logisch, dass ich immer "stundenlang im Stau" gestanden habe. In Wirklichkeit war ich in der Stadt und saß im Eiscafé. :biggrin:
 
In der neuen AutoBild-Klassik ist ein Vergleichstest mit u.a. dem Mercedes 200 (123). Er hat gewonnen, aber nicht souverän. Und die Entschleunigung ist mit einem 200er sicher noch besser! :zwinker:
 
Haha ja, den Bericht habe ich Gestern gelesen :biggrin:
Der 200er ist auch nicht so der Burner, halt ein Brot und Butter Auto....

Habe mich über den wirklich guten Bremswert von 44m gewundert, hätte gedacht der braucht ohne ABS länger :)
 
Ich liebe die W123. Mein Opa fuhr die Wagen damals. Irgendwann will ich auch mal einen W123 280 CE haben.
 
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